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25.04.2023

UX IN DEUTSCHLAND (2/3)

25 Jahre Erfahrung im UX Design - Zeit für eine Bestandsaufnahme! In Teil 2 unserer Serie „UX in Deutschland“ beleuchten wir, welche Rollen und Anforderungen UX Designer*innen inzwischen erfüllen (sollen) und welche Herausforderungen Unternehmen für einen kundenzentrierten digitalen Wandel meistern müssen. Außerdem erfahrt Ihr, warum UX dazu einen wichtigen Beitrag leisten kann.

ZUKUNFT EXPERIENCE DESIGN: HERAUSFORDERUNGEN & CHANCEN

Was braucht eine Organisation wirklich, um nachhaltig nutzungszentrierte Anwendungen am Markt erfolgreich zu platzieren? Und welche Rolle spielt UX dabei, dieses Ziel zu erreichen? Um diese Fragen zu beantworten, haben wir innere Faktoren (Situation der Mitarbeitenden, Prozesse) sowie äußere Faktoren (Marke, Nutzende, Markt) näher beleuchtet. In unserem Beitrag zeigen wir Euch die Herausforderungen, welchen Unternehmen durch die Digitalisierung und die damit einhergehende strategische Bedeutung von UX Design verstärkt begegnen.

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1. UX-Ziele festlegen

Unternehmen können mit UX Design sehr unterschiedliche Ziele verfolgen. Die eine richtige Lösung gibt es dabei nicht. Die Versuchung ist groß, mit wenig Aufwand einen allgemeinen Standard zu etablieren, anstatt für das Unternehmen individuell zu entscheiden, welche Funktionen UX erfüllen soll. Uns begegnen immer wieder Fälle, in denen der Fokus ausschließlich auf das Visuelle oder ein teures Marketing gelegt wird. Doch den Schritt und die Bedürfnisse des Marktes durch Research zu qualifizieren, wagen Unternehmen noch zu selten. So verfehlt die Einstellung von UI Designer*innen – und hier liegt der Fokus auf klassischem, visuellem Design – oft seine Wirkung. Dies hat häufig zur Folge, dass das Thema UX/UI als Fehlinvestition gesehen wird.


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2. Potential von UX Design ausschöpfen

Für UX Professionals ergeben sich im Arbeitsalltag zahlreiche Herausforderungen, die es ihnen mitunter schwer machen, sich gut zu integrieren und das Potential von UX Design auszuschöpfen. Folgende Situationen empfinden UX Professionals, mit denen wir zusammenarbeiten, immer wieder als sehr herausfordernd:

One-size-fits-all gibt es nicht: Da UX ein multidisziplinäres Feld ist, ist es sehr wichtig, den eigenen Bedarf und das Potential im Unternehmen genau zu verstehen. Der „Full-Stack UX Professional“, den Unternehmen sich oft wünschen, existiert so nicht. Eine solche Person wäre äußerst hochbegabt und selten anzutreffen. Um UX Professionals mit dem richtigen Kompetenzprofil einzustellen, müssen Unternehmen zunächst verstehen, wo das größte Experience-Potential für die Organisation und ihre Produkte liegt. Basierend auf den daraus entstehenden Anforderungen an das UX Team kann gezielt nach den passenden Kompetenzen gesucht werden. Gleichzeitig wird so ein Umfeld für die UX Professionals geschaffen, in dem das Potential von UX entfaltet und die Produkte vorangebracht werden können.

UX Team of One: Das „UX Team of One“ bezeichnet UX Professionals, die als einzelne und einzige UX-Kompetenz in ihrem Unternehmen agieren. Besonders Mittelständler wollen ihre Kompetenz durch die Einstellung eines ersten Experience Designers erweitern und im Unternehmen streuen. Da es schwierig ist, erfahrene Fachkräfte zu finden, werden auch UX Professionals mit wenig Berufserfahrung eingestellt. UX ist jedoch ein Feld, in dem die Entwicklung von Kompetenzen sehr stark auf Erfahrungswissen und damit dem Austausch mit Kolleg*innen beruht. Dieser Austausch fehlt im „UX Team of One" und behindert die Entwicklung. Denn gute User Experience ist das Ergebnis der Arbeit eines Teams.

Fachfremde Führungskräfte: Wenn die Führungskräfte von Produktenwicklungs-Teams keine Kenntnisse im Bereich User Experience haben, können sie nur schwer zwischen UX und anderen Kompetenzen vermitteln. UX Professionals fühlen sich in solchen Situationen oft missverstanden und unzureichend unterstützt. Viele engagierte Professionals mit wenig Berufserfahrung erleben in ihren Positionen daher überdurchschnittlich viel Frust.

3. UX-Professionals erfolgreich befähigen

Da das Design und Research Management als Thema in den Unternehmen oft noch wenig Aufmerksamkeit bekommt, gibt es auch Defizite in der Aus- und Weiterbildung. Bei UID haben wir Organisationen kennengelernt, die zwar ein UX Team haben, aber kein etabliertes Weiterbildungsprogramm.

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UX-Austausch erwünscht

Häufig haben UX Professionals, insbesondere die oben beschriebenen Einzelkämpfer*innen, niemanden im Unternehmen mit vergleichbaren Kompetenzen, mit dem sie sich austauschen können. Ihre Führungskräfte können ihre UX-Kräfte dabei nur teilweise beraten oder selbst zur Weiterbildung beitragen, da diese meist eher aus technischen Berufen kommen. Und so gibt es in der Organisation oft niemanden, der die Weiterentwicklung des UX Professionals und die Verteilung des Wissens im Unternehmen fördern kann.

Dabei ist gerade der Austausch bei wissensintensiven Leistungen wie dem Experience Design enorm wichtig. Der „Austausch“ war im Branchenreport 2022 der German UPA mit 85% bei weitem die wichtigste Form der Weiterbildung. Danach kamen mit 64% Angebote wie „Websites, Blogs, Newsletter“.


Weiterbildung für UX Professionals

Der Branchenverband German UPA versucht, einige dieser Defizite durch kostenlose Angebote abzufangen. 2020 wurde dort ein Mentor*innenprogramm ins Leben gerufen. Andere Austauschformate wie „Lean Coffees“, Webinare, Paneldiskussionen, etc. ergänzen das Angebot. Ein noch junges Projekt ist der Experience Leadership Club. Dort organisieren sich UX Professionals ehrenamtlich, um die Weiterbildung zu Leadership-Kompetenzen speziell für UX Professionals zu fördern und sich auszutauschen.

Solche Angebote sind enorm wertvoll und bewahren die Branche vor gravierenden Problemen. Das bedeutet auch, dass die Leistungsfähigkeit in den Organisationen von solchen Angeboten abhängt und die Unternehmen hier ihrer Mitverantwortung noch nicht gerecht werden. Das ist teilweise verständlich, da die Unternehmen noch gar nicht so weit sind, diese Funktionen selbständig erfüllen zu können. Dadurch besteht jedoch die Gefahr, dass die Steuerung der Ausbildung von Mitarbeitenden verloren geht.

Organisationen können und müssen externe Ressourcen nutzen, um ihre UX Professionals und damit das Experience Design innerhalb der Organisation weiter zu entwickeln. Aber sie müssen auch die Qualität der Weiterbildung gewährleisten und z.B. durch entsprechende externe Coaching-Angebote oder professionell angebotene Trainings anreichern.

Praxisbeispiel: Wenn UX Potential nicht genutzt wird

Einer unserer Kunden ist ein mittelständischer, angesehener Maschinenbauer mit großem Renommee. Das Thema UX wird dort bereits seit vielen Jahren diskutiert. Über mehrere Jahre sind dort 6 UX Professionals eingestellt worden. Während das Unternehmen durchaus mit den Beiträgen der UX Professionals zufrieden war, fühlten sich diese im Gegenzug viel zu oft missverstanden und klagten darüber, dass sie ihr Potential nur bruchstückhaft ins Unternehmen einbringen können. Versuche, die UX-Kolleg*innen in einer Community zu bündeln oder gar deren Kompetenzen in die Prozesse fest zu integrieren, sind fehlgeschlagen. Zu wenige Product Owner konnten sich vorstellen, wie sie die UX Professionals unter gegebenen Rahmenbedingungen effektiv einsetzen. Zu wenige Führungskräfte bemühten sich aktiv, die Rahmenbedingungen anzupassen, um die effektive Zusammenarbeit zu erleichtern. Von 6 gut ausgebildeten und kompetenten Mitarbeitenden haben 4 das Unternehmen inzwischen verlassen. Das Unternehmen hat aus dem „Brain Drain“ Lehren gezogen und geht das Thema UX Design nun mit mehr Ausdauer an.

4. Silos für bessere UX überwinden

"Die größte Herausforderung für ein einheitliches Kundenerlebnis liegt in der Überwindung der Silostruktur im Unternehmen" schreibt Zacharias Eibauer in der Page (2/22). Dieser Satz bringt es auf den Punkt. In vielen Unternehmen gibt es oft siloartige Strukturen, bei denen Abteilungen und Teams voneinander getrennt arbeiten und kommunizieren. Dies kann zu einer mangelnden Zusammenarbeit und Integration führen und somit das Erreichen gemeinsamer Ziele erschweren.

Im Bereich UX spielt die Zusammenarbeit zwischen Abteilungen eine entscheidende Rolle für den Erfolg eines Produkts oder einer Dienstleistung. Ein UX Professional muss eng mit anderen Abteilungen wie Produktmanagement, Entwicklung, Marketing & Sales zusammenarbeiten, um ein produkt- und nutzungszentriertes Ergebnis zu erzielen. Wenn die Zusammenarbeit jedoch durch siloartige Strukturen behindert wird, kann dies die Effektivität und Qualität der UX-Arbeit beeinträchtigen.

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Es ist wichtig, dass Unternehmen sich bemühen, diese Silos aufzubrechen und eine offene und integrative Kultur zu fördern. Nur so kann eine erfolgreiche Zusammenarbeit und ein optimales Nutzungserlebnis ermöglicht werden. Die Rolle des UX Professionals kann hierbei von großer Bedeutung sein, indem er als Vermittler und Anwalt für eine nutzungszentrierte Herangehensweise agiert und die Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen verbessert.

5. Design Management & UX professionalisieren

Jede Organisation hat Stärken. Diese klar zu kommunizieren, schärft ihr Profil und stärkt die Marke. Ganz egal, ob eine Organisation ihre eigene Designkompetenzen hat, oder ob sie entsprechende Aufgaben an Dienstleistende auslagert: Sie muss ihr Design selbst managen.

Im B2B-Bereich verstehen wir unter Design Management, dass ein Unternehmen seine Botschaften an Kund*innen, Stakeholder und/oder Bewerber*innen unternehmensweit zu etablieren.

Das Design Management hat dabei untere anderem die Aufgabe, kreative Prozesse zu steuern. Dazu gehört auch, Experience Designer*innen in der Organisation zu fördern und zu unterstützen, sodass diese optimal von deren Beiträgen profitieren kann. Die Bereiche Corporate Design, Kommunikationsdesign und Customer Experience Design werden für die Markenkommunikation in den Unternehmen meist schon als relevanter Faktor betrachtet. UX hingegen ist in die übergreifenden Prozesse oft noch nicht integriert.

6. Designsysteme etablieren

Zunehmend setzen Unternehmen Designsysteme ein, um Identität und Wiedererkennbarkeit ihrer Marke auch im UX Design zu verankern. Betrachtet man den gesamten Markt, sind Designsysteme jedoch nach wie vor unterrepräsentiert. Und auch dort, wo es welche gibt, obliegt deren Verantwortung der Produktentwicklung, wodurch eine gemeinsame Weiterentwicklung mit anderen Formen des Designs erschwert wird. Darunter leidet in den allermeisten Fällen ein lebendiger Austausch. Insgesamt hat der deutsche Markt im User Experience Design und dessen Integration in die Organisation noch Nachholbedarf.

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Durch die Einführung organisationsweiter Frameworks wie Designsysteme können übergreifende Verbindungen geschaffen werden, die eine einheitliche technische Basis für das Experience Design bilden. Darüber hinaus haben Designsysteme mehrere Vorteile. Sie können auch die Kommunikation zwischen den gestalterischen und technischen Kompetenzen erheblich vereinfachen. Durch Modularisierung und Standardisierung gewinnt die Entwicklung an Effizienz und Synergieeffekte können genutzt werden. Die Einrichtung und Pflege von Designsystemen sind ein wesentlicher Baustein im Design Management.

7. Einheitliches Customer Experience Management integrieren

Auch beim Service Design besteht in den Unternehmen häufig noch Nachholbedarf. Allein das Bewusstsein, dass die Organisation mit dem Vertriebsprozess eine Gestaltungsleistung erbringt und dass die Qualität dieser Gestaltungsleistung auch markenrelevant ist, scheint uns noch eher gering ausgeprägt. In den allerseltensten Fällen werden diese „Journeys“ regelmäßig von einer Instanz auf Markenkonformität hin geprüft - ganz zu schweigen von einer integrierten Steuerung. Jedoch zeigt die steigende Anzahl an relevanten Veranstaltungen mit dem Schlagwort Customer Experience Management, dass auch hier Bewegung in den Markt kommt.

Kundenkontakte werden zwar diversifiziert und jeder Kanal wird für sich auch professionell etabliert; zumindest geht der Trend dorthin. Dass aber zusätzliche Maßnahmen zur Kohärenzsicherung erforderlich sind, wenn Botschaften von einzelnen Kanälen auf mehrere übertragen werden, wird in vielen Unternehmen nicht erkannt.

Die Top-Führungsebenen müssen ihre Aufmerksamkeit stärker den Botschaften widmen, die ihre Organisation aussendet. Es braucht Mitarbeitende, ausgestattet mit Kompetenzen und entsprechendem Mandat, um silo-übergreifend agieren zu können. Denn Design an sich ist zwar eine operative Funktion, aber sie braucht ein silo-unabhängiges Fundament. Was aus Kundensicht von außen als EIN Angebot wahrgenommen wird, stellt nicht die innerbetriebliche Einheit dar. Die einzelnen Abteilungen sind weder organisatorisch noch technisch miteinander verbunden, wodurch das Gesamterlebnis leidet.

8. Customer Centricity aufbauen durch Feedback Management

Ergänzend zum oben erwähnten Designsystem stellt die Etablierung eines Feedback Management Systems eine Bereicherung dar. Das ist ein System, in dem über alle Berührungspunkte hinweg und über verschiedene Wege und Stakeholder, Kund*innen und Nutzer*innenaussagen gesammelt, bewertet und verwendet werden können. Dieser „Schatz“ ist bereits im Unternehmen vorhanden, jedoch kann erst durch eine strukturierte und kontinuierliche Analyse der wahre Wert geborgen werden: Das Ableiten von Ideen und Maßnahmen für mehr Kund*innenzentrierung. In welchem Umfang ein Unternehmen in Themen wie Customer Experience Management oder Customer Centricity investiert, hängt von den Zielen ab, die eine Organisation mit UX verfolgt.

FAZIT

Um nachhaltig und erfolgreich nutzungszentrierte Anwendungen am Markt zu platzieren, bedarf es innerbetrieblicher Anstrengungen genauso wie einem Verständnis der Bedürfnisse des Marktes. Die bloße Einstellung eines UX Professionals oder das Hinzuziehen einer entsprechenden Agentur verfehlt ihre Wirkung, wenn es dabei belassen wird und eine strategische Ausrichtung von UX Design im Unternehmen versäumt wird.

Welche Trends Ihr bei der strategischen Ausrichtung von UX im Blick haben solltet, verraten wir in Teil 3!

UX in Deutschland

Hier findet Ihr Teil 1 und 3 unserer Serie:

  • Wachstumsmarkt Experience Design:
    Wie sich die Anforderungen an UX Design geändert haben, lest Ihr in Teil 1
  • UX-Welt von morgen:
    5 Trends, die Ihr bei der strategischen Ausrichtung von UX im Blick haben solltet, findet Ihr in Teil 3
Buzzword Prototyping Autorin Lisa Reimer

Die Autor*innen

Lisa Reimer begleitet als Senior User Experience Consultant seit über 10 Jahren Kunden aus unterschiedlichen Branchen auf ihrem Weg von der Idee zum fertigen Produkt oder Service. Sie konzipiert und evaluiert dabei vor allem die passenden Nutzerschnittstellen. Zudem befähigt Sie als Teil des UID-Teams „Facilitating and Consulting“ die Projektteams zu innovativem und agilem Arbeiten. Dabei nutzt sie z.B. den co-kreativen Prozess LEGO® SERIOUS PLAY®, um neue Prozesse und Ideen zu fördern und die Zusammenarbeit inspirierend zu gestalten.

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Dr. Jan Seifert arbeitet als Lead User Experience bei UID. Er verfügt über umfassende Erfahrung in allen Phasen der menschenzentrierten Entwicklung. Je nach Projektanforderung führt der Diplom-Psychologe den Prozess selbst durch, leitet ihn an oder implementiert ihn. Seine Schwerpunkte liegen in den Branchen Enterprise, Industry und Automotive. Sein umfassendes Wissen und praktische Erfahrung gibt er in Vorträgen und Vorlesungen weiter. Er ist aktives Mitglied im Arbeitskreis User Research der German UPA, dem Berufsverband der deutschen Usability Professionals.