12.05.2025

Warum User Research unverzichtbar ist

Ihr kennt eure Nutzer:innen – und das zu Recht. Viele Teams bringen tiefes Prozesswissen, technisches Verständnis und Erfahrung mit. Doch wie viel basiert auf direktem Kontakt und echter Beobachtung? Was valide sind Eure Beurteilungen? Denn klar ist: Wer sich auf Annahmen verlässt, riskiert Lösungen, die an den Bedürfnissen vorbeigehen – mit teuren Folgen. Wir zeigen Euch, wie User Research diese blinden Flecken aufdeckt und so zu Eurem Weg zu praxistauglichen UX-Lösungen werden kann.

Ein Beispiel: In einem Usability-Test einer Software für Steuerberatungen sagte ein Nutzer sinngemäß „Ja, die Funktionen sind alle da, und man findet sie auch. Aber so arbeitet kein Mensch.“ Was auf den ersten Blick logisch und vollständig wirkte, passte im Alltag überhaupt nicht zum tatsächlichen Workflow. Solche Aha-Momente erleben wir immer wieder. Sie zeigen: Ohne echten Nutzerkontakt bleibt vieles theoretisch.
Nutzer:innen kaufen Lizenzen nicht, nutzen Software nur eingeschränkt oder umgehen digitale Prozesse . Beschwerden bleiben aus, weil die Hürden im Alltag zwar spürbar, aber selten drastisch genug sind, um Widerstand auszulösen. Die Folge: Opportunitätskosten, ineffiziente Abläufe und ungenutzte Potenziale – ohne dass es auf den ersten Blick sichtbar wird.

Was ist User Research eigentlich?

User Research – auch Nutzerforschung genannt – ist der systematische Prozess, mit dem Bedürfnisse, Erwartungen und Verhaltensweisen von Nutzer:innen analysiert werden. Ziel ist es, digitale Produkte so zu gestalten, dass sie nicht nur können, was sie sollen – sondern dass sie sich auch so anfühlen, als wären sie für echte Menschen gemacht. Es reicht nicht, dass eine Funktion existiert. Sie muss im richtigen Moment sichtbar, verständlich und anschlussfähig sein.

Denn gerade bei UX geht es oft nicht nur um das „Was“, sondern um das „Wie“. Um Mikro-Details, die im Projektalltag leicht verlorengehen: eine missverständliche Bezeichnung, ein falscher Fokus, eine Reihenfolge, die in der Theorie logisch wirkt – und in der Praxis komplett aus dem Flow reißt.

In einer digitalen Welt, in der sich Menschen an intuitive und reibungslose Nutzung gewöhnt haben, wird Nutzerforschung zur Grundvoraussetzung für Akzeptanz und Effizienz. Ob in der Industrie, der öffentlichen Verwaltung, im Bereich Medizintechnik, bei Enterprise-Lösungen oder in der Mobilität – wer die tatsächlichen Bedürfnisse der Nutzer:innen ignoriert, riskiert Fehlbedienungen, Ineffizienz, hohe Support- und Schulungskosten sowie langfristig die Ablehnung digitaler Lösungen.

Problemverständnis vor Lösung

Besonders in frühen Projektphasen ist User Research ein entscheidender Hebel. Statt direkt in die Lösungsfindung zu springen – was sehr verlockend ist, weil es sich produktiv anfühlt – geht es zunächst darum, das eigentliche Problem zu verstehen. Interviews mit Nutzer:innen, Kontextanalysen und User Journeys machen sichtbar, wo es im Alltag hakt – etwa bei kryptischen Formularen oder unlogischen Klickwegen. Diese Erkenntnisse sind keine Verzögerung, sie sind das Fundament jeder guten Lösung.

Und ganz ehrlich: Wer schon mal ein Feature gebaut hat, das später niemand nutzt, weiß, wie frustrierend das ist. Noch frustrierender? Wenn man es hätte wissen können – mit drei Interviews vorab.

Besonders relevant ist das auch für Startups, die auf den Erfolg ihres ersten Produkts einmal mehr angewiesen sind.

Empathie schafft Akzeptanz

Was oft unterschätzt wird: User Research wirkt auch nach innen. Wenn Teams echtes Nutzerverhalten sehen – nicht theoretisch, sondern ganz konkret, mit echten Stimmen, echten Problemen – passiert etwas. Man beginnt, mit anderen Augen auf das eigene Produkt zu schauen. Man diskutiert weniger über Meinungen, sondern über beobachtbare Realitäten.

Gerade in Organisationen, in denen nutzerzentriertes Arbeiten noch Neuland ist, sind diese Aha-Momente Gold wert. Denn sie schaffen nicht nur Wissen, sondern Haltung. Und wer einmal gesehen hat, wie ein Nutzer an einem schlecht gestalteten Prozess verzweifelt, denkt beim nächsten Mal anders über Komplexität und Klarheit nach.

Kosten sparen durch frühes Feedback

„Wir testen später.“ Das klingt vernünftig – ist es aber nicht. Spätes Feedback ist teuer. Wenn ein Konzept erst nach dem Go-live scheitert, ist der Schaden längst entstanden. Laut verschiedenen Branchenberichten und Fachliteratur (z.B. hier) bringt jeder in UX investierte Dollar zwischen zwei und hundert Dollar Return. Früh testen heißt: teure Fehler vermeiden, bevor sie in Code gegossen werden. Ein guter UX Designer unterstützt bei der Entscheidung, hinter welchen Fragen sich Risiken verbergen, die ihr vor dem Go-live finden solltet, und was man getrost ausprobieren kann.

Und an alle, die denken, Research kostet zu viel: Was kostet es, wenn eure Mitarbeitenden täglich mit einer ineffizienten Benutzeroberfläche arbeiten und dabei wertvolle Zeit verlieren? Oder wenn ein komplexes System so unverständlich ist, dass es dauerhaft hohe Support- und Schulungskosten verursacht? Was passiert, wenn sicherheitskritische Funktionen falsch bedient werden – oder digitale Prozesse von den Nutzer:innen einfach umgangen werden, weil sie zu kompliziert sind? User Research verhindert genau diese versteckten Kosten und Risiken – bevor sie entstehen.

Was passiert ohne User Research?

Ohne Nutzerforschung entwickelt man oft an der Zielgruppe vorbei – und merkt es erst, wenn die Zahlen nicht stimmen. Produkte lösen dann keine echten Probleme, sondern spiegeln nur interne Annahmen. Und das Feedback? Bleibt meist aus. 91 % der unzufriedenen Nutzer:innen verlassen laut Baymard eine Seite einfach – sie beschweren sich nicht, sie gehen.

Das ist schade. Aber noch schlimmer ist: Viele merken es nicht einmal. Währenddessen verschwenden Teams Ressourcen auf Funktionen, die niemand braucht – und übersehen die kleinen, aber entscheidenden Stolpersteine in der User Journey.

So gelingt die Integration in den Alltag

User Research muss kein Riesenprojekt sein. Drei Interviews können mehr Klarheit bringen als hundert Jira-Tickets. Wer regelmäßig kleine Research-Loops einbaut – ob mit echten Nutzer:innen oder intern – verankert Nutzerzentrierung nachhaltig im Team. So machen das auch unsere Changitors. Gemeinsame Auswertungen von Interviewausschnitten fördern nicht nur Verständnis, sondern auch Teamgeist. Und frühes Testen von Wireframes bringt schnelles Feedback, noch bevor eine einzige Zeile Code geschrieben wurde. Und wer Research routinemäßig mit Cleverness in die Prozesse integriert, macht genau so viel Research, wie er braucht, stärkt die Qualität und die Nutzerbindung, spart Kosten und verbessert das Markenimage.

Also ja – es kostet Zeit. Aber viel weniger, als später alles nochmal zu bauen.

User Research im regulierten Umfeld: Pflicht statt Kür

In stark regulierten Branchen wie dem medizinischen Umfeld (z. B. Medical Devices oder Pharma-Software) ist User Research längst kein optionaler UX-Schritt mehr – er ist Teil des formellen Anforderungs- und Approval-Prozesses. Normen wie die IEC 62366-1 schreiben explizit vor, dass Nutzungssicherheit und Gebrauchstauglichkeit durch systematische Nutzeranalysen und -tests nachgewiesen werden müssen.

Das bedeutet: Ohne strukturierte Research-Aktivitäten drohen nicht nur Usability-Probleme, sondern auch regulatorische Hürden. Wer hier frühzeitig UX und User Research integriert, verbessert nicht nur die Nutzererfahrung, sondern auch die Zulassungsfähigkeit seines Produkts.

Fazit: Research als Erfolgshebel

User Research ist kein Hindernis, sondern ein Beschleuniger. Wer versteht, was Nutzer:innen wirklich brauchen, gestaltet bessere Produkte – effizienter, zielgerichteter und nachhaltiger. Produkte, die genutzt werden. Die empfohlen werden. Die keine Erklärungen brauchen, weil sie intuitiv funktionieren.

Der erste Schritt? Einfach anfangen – aber mit dem Bewusstsein, dass echtes Verständnis mehr braucht als einzelne Meinungen. Schon ein erstes Interview kann wertvolle Impulse liefern und blinde Flecken aufdecken. Doch um wirklich fundierte Entscheidungen zu treffen, lohnt sich ein systematischer Research-Ansatz, der verschiedene Perspektiven einbezieht und Muster sichtbar macht.

Denn: Solides User Research spart nicht nur Zeit und Kosten in der Entwicklung – es ist die Grundlage für Produkte, die langfristig erfolgreich sind.

Der Autor

Als CEO der UID GmbH entwickelt Ralph Siegert mit seinem Team die digitalen Produktwelten von morgen und verankert UX nachhaltig und agil in Unternehmen. Mit 25 Jahren Erfahrung in der Digitalisierung, häufig als Product Owner in agilen Projekten, ist er Experte in der Entwicklung von Digital- und Innovationsstrategien. Vor seiner Zeit bei UID war Ralph bereits bei verschiedenen IT-Dienstleistern und internationalen Agenturen für renommierte Kunden als Bindeglied zwischen Digitaler Welt, Technologie und Business tätig.

Ralph Siegert verstärkt als CEO UID-Geschäftsführung.

UID ist euer Partner für User Research

Als UX-Agentur für Innovation, Design und Strategie haben wir in mehr als 5.000 Projekten digitale Produkte erfolgreich nutzerzentriert gestaltet. Als Teil der BAYOONET Group mit 400 Expert:innen entwickeln wir komplexe Software-Lösungen mit optimaler UX – auch für stark regulierte Branchen wie Medizintechnik oder Maschinenbau.

Ähnliche Beiträge