Digitale Gesundheitsanwendung (DiGA): Mit User Experience zu einer besseren Adhärenz
Ob Diabetes, Asthma oder Bluthochdruck – der Erfolg von medizinischen Behandlungen hängt wesentlich davon ab, ob Patient*innen motiviert daran mitarbeiten. Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) haben großes Potenzial, die Therapie-Adhärenz zu erhöhen. Und auch für Hersteller von Arzneimitteln und Medizinprodukten bietet sie Vorteile: Können sie mit digitalen Services doch neue Geschäftsfelder erschließen. Die Akzeptanz dieser Gesundheitsapps steht und fällt mit einer guten Usability & User Experience. Wie Ihr die erreicht, erfahrt Ihr in unserem Artikel.
Nehmen Patient*innen ihre Medikamente regelmäßig ein? Ändern sie ihren Lebensstil oder ihre Gewohnheiten beim Essen? Viele Patient*innen haben Schwierigkeiten ihre Therapiepläne diszipliniert umzusetzen. Es gibt viele Gründe, warum es an der Therapietreue, der sogenannten Adhärenz, mangelt: unzureichende Informationen, wie Arzneimittel wirken, fehlende Motivation oder mangelnde Kommunikation seitens der Ärzt*innen.
Fehlende Adhärenz ist einer der häufigsten Gründe, warum Therapien versagen. In den Industrienationen liegt die langfristige Adhärenz bei nur 50 %. (1) Dies ist nicht nur ein großes Risiko für die Gesundheit der Patient*innen. Es verursacht zugleich hohe Kosten für die Krankenkassen. 2007 lagen die medizinischen Kosten, die in Deutschland durch mangelnde Adhärenz entstanden, jährlich bei 10 Milliarden Euro. Das entspricht 13 % aller Krankheitskosten. (2) Doch wie lässt sich das verringern?
Gesundheits-Apps für mehr Adhärenz
Apps in Kombination mit Wearables, Künstlicher Intelligenz und Cloud Computing bergen ein enormes disruptives Potenzial. Als Zielgruppe sind vor allem chronisch Kranke (3) und aufgrund ihrer Technikaffinität Jugendliche (4) interessant. Insbesondere bei Wohlstandskrankheiten spielen Apps ihre Stärke aus: Sie können beispielsweise Diabetes-Erkrankten helfen, ihr Gesundheitsverhalten langfristig zu ändern und ihr Selbst-Management zu optimieren. Eine hohe Therapie-Adhärenz kann bei vielen chronischen Erkrankungen kostspielige Behandlungen und Krankenaufenthalte vermeiden. (5)


Aber auch in der operativen Nachsorge und der Rehabilitation lässt sich durch Apps der Therapieerfolg steigern. So entwickelte UID in dem Forschungsprojekt Script mehrere Motivational Games für Schlaganfall-Patient*innen. Die Patient*innen ziehen einen Roboter-Handschuh an, der die Bewegungen der Hand und Finger unterstützt. Mit der Hand steuern die Patient*innen interaktive Spiele und erlernen so spielerisch Alltagsbewegungen wieder neu.
Vom Hersteller zum Service-Provider
Dass sich eine hohe Adhärenz für Erkrankte und die Krankenkassen auszahlt, ist klar. Aber was ist mit Pharmaunternehmen bzw. Herstellern von Medizinprodukte? Warum sollten sie überhaupt in digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) für mehr Therapietreue investieren? Durch digitale Services entwickeln Unternehmen neue Business Modelle: Sie können neben Arzneimitteln und Hardware zusätzliche Einnahmen durch "Service an Patient*innen" generieren. Damit einher geht auch ein Paradigmenwechsel: Der Blick richtet sich vom Produkt auf die Patient*innen. Dank der Zulassung und Erstattung als DiGA lassen sich diese neuen digitalen Services zudem optimal vermarkten.
Usability & UX für eine höhere Adhärenz
Mehr als die Hälfte aller Pharmaunternehmen (53,7 %) bieten heute Apps an, die die Adhärenz von Patient*innen unterstützen sollen. Das Problem: Die meisten dieser Apps werden bisher nur sehr zurückhaltend genutzt. (6) Vor allem die, die davon profitieren könnten, nehmen die digitale Unterstützung nur selten an. Die Apps scheinen an den Bedürfnissen chronisch Erkrankter vorbei entwickelt worden zu sein. Die Patient*innen müssen Lust haben, die Gesundheitsapp regelmäßig zu nutzen. Eine gute Usability (Gebrauchstauglichkeit) und User Experience (positives Nutzungserlebnis) sind hierbei entscheidende Erfolgsfaktoren.
Eine gute Usability und User Experience (UUX) bietet gleich mehrere Vorteile:
- Sie minimiert das Risiko von Bedienfehlern. Das vermittelt den Nutzenden Sicherheit und schafft Vertrauen.
- Sie reduziert die Einstiegsbarrieren: Anwendungen mit guter UUX sind intuitiv zu verstehen. Nutzende können sie ohne große Einlernzeit oder viele Schulungen bedienen. Wenn sie hingegen schon bei der Inbetriebnahme oder den ersten Schritten scheitern, können sie den möglichen Mehrwert der digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) gar nicht erst erfahren.
- Anwendungen mit einer guten UUX lassen sich einfach und schnell bedienen. Die Nutzenden können Bedienschritte schnell und unkompliziert ausführen. Sie werden nicht „aufgehalten“, sondern optimal in ihren Aufgaben unterstützt. Das steigert die Bereitschaft, die Anwendung regelmäßig zu nutzen.
Menschenzentriert zu mehr User Experience
Doch wie entstehen Anwendungen mit guter User Experience? Das wichtigste: Die Anwendungen müssen den Nutzenden einen echten Mehrwert bieten und sich optimal in ihren Alltag integrieren. Die Patient*innen müssen die Funktionen als alltagstaugliche Unterstützung ihrer Behandlung wahrnehmen. Nur dann setzen sie sich überhaupt mit der Anwendung auseinander und nutzen sie regelmäßig. Dafür müssen Hersteller digitaler Lösungen die Bedürfnisse der Nutzenden sehr genau kennen und diese optimal adressieren. Hierbei hilft der Human Centered Design Process.
Denn der Human Centered Design Process stellt den Nutzenden in den Mittelpunkt der Gestaltung. Zu Beginn anaylsiert er die Bedürfnisse der Nutzenden und des Kontexts der Nutzung. Hierfür bieten sich verschiedene Methoden der User Research an. Die Customer Journey Map beispielsweise gibt Einblick in den Alltag der Nutzenden. Sie zeigt, wie Patient*innen entlang des Customer Lifecycle mit der Anwendung interagieren. Wenn ihr mehr erfahren wollt: In einem Paper vergleichen wir, welche Methode sich wann eignet. Mithilfe dieser User-Research-Methoden erkennen Hersteller von Arzneimitteln und Medizinprodukten, an welchen Stellen sie Patient*innen in ihrem Therapie-Alltag entlasten können. So entstehen eHealth-Angebote, die perfekt auf die Nutzenden zugeschnitten sind.

Besonderen Zielgruppen gerecht werden
Angesichts vieler chronischer Krankheitsbilder könnten viele
Senior*innen zur Zielgruppe von Gesundheitsanwendungen zählen. Viele Ältere
haben wenig Erfahrung und Selbstvertrauen mit digitalen Produkten und sind
diesen gegenüber skeptisch. Aufgrund des Alters, der chronischen Erkrankung
oder der Medikation können motorische und kognitive Einschränkungen zudem die
Bedienung erschweren. Dies muss das Design der digitalen Gesundheitsanwendungen
(DiGA) berücksichtigen.

Niedrige Einstiegshürden und eine perfekte Usability spielen im Hinblick auf die Zielgruppe eine große Rolle. Aber auch das Thema Responsiveness sollte im Fokus sein: Senior*innen verfügen nicht immer über die neuste Technik. Um niemanden auszuschließen, sollte die Anwendung auf möglichst vielen Endgeräten gut funktionieren. Auf welche Anforderungen Ihr eingehen solltet? Diese Informationen findet Ihr am besten mit den oben erwähnten User-Research-Methoden heraus.
Transparenz über Zweck und Daten
Gerade bei Gesundheitsanwendungen und sensiblen Daten müssen
digitale Lösungen Vertrauen vermitteln. Eine transparente Kommunikation ist
hier unabdingbar: Zum einen sollten Patient*innen klar erkennen, für welche
Zwecke sie die Gesundheitsapp verwenden können. Um Fehlnutzungen zu verhindern,
sollten die Grenzen der Apps klar aufgezeigt werden. Auch beim Datenschutz
sollte man mit offenen Karten spielen: Welche Daten sammelt und speichert die
digitale Gesundheitsanwendung (DiGA)? Was passiert damit? Wer hat Zugriff
darauf?
Motivation steigern mit Gamification
Die Motivation der Nutzenden ist entscheidend für die Therapietreue. Eine erfolgversprechende Lösung, um diese zu steigern, ist Gamification. Dabei werden Spielelemente wie Challenges, Badges etc in spielfremden Kontexten adaptiert. Ein gelungenes Beispiel ist die App MySugar. Sie beinhaltet Challenges, die Diabetiker*innen erfolgreich absolvieren, wenn sie ihre Blutzuckerwerte und Kalorien dokumentieren. Diese Challenges zu meistern, erfüllt die Patient*innen mit Stolz und hilft ihnen, am Ball zu bleiben. Mehr noch: Diese spielerischen Engagement-Strategien können der ausschlaggebende Faktor sein, warum Patient*innen eine App nicht nur nutzen, sondern sie mit Freue nutzen. Dieses positive Nutzungserlebnis (UX) kann zum entscheidenden Unique Selling Proposition (USP) einer Anwendung werden.
Fazit
Unternehmen, die digitale Anwendungen zur Adhärenz-Steigerung
entwickeln, wandeln sich vom reinen Hersteller von Arzneimittel und
Medizinprodukten zu eHealth Service Providern. Dabei sollten sie mittels des
Human Centered Design Process Patient*innen aktiv in die Entwicklung
einbeziehen. Sie müssen den Mehrwert der Gesundheitsapp erkennen und diese
intuitiv bedienen können. Nur dann kann die digitale Gesundheitsanwendung
(DiGA) das Ziel, die Therapietreue zu erhöhen, erreichen. Datenschutz und
Datensicherheit, eine fehlerfreie und sichere Bedienung, menschzentriertes
Design und Gamification – alle diese Faktoren zusammen sorgen für ein positives
Nutzungserlebnis (User Experience). So erreicht man motivierte Nutzende, die
die Gesundheitsanwendung langfristig anwenden und ihre Therapiepläne motiviert
und diszipliniert umsetzen.
Die Autor*innen
Seit 2015 entwickelt Dominik Zenth bei UID nutzerfreundliche und kreative Lösungen. Dabei profitieren vor allem Firmen aus dem Bereich Medical & Pharma vom Wissen des studierten Gesundheitswissenschaftlers und Physiotherapeuten. Als Spezialist für User Research und Konzeption von Health-Anwendungen versteht er die Bedürfnisse der Nutzenden und setzt sie in intuitiv bedienbare Produkte um.
Tausche Dich direkt mit Dominik über digitale Gesundheitsanwendungen aus – via LinkedIn oder E-Mail.


Ob Inbound Marketing, Social Media oder Eventorganisation – Juliane Markotschi verfügt über 15 Jahre Erfahrung in klassischer und digitaler Kommunikation. Die Germanistin und Kommunikationswissenschaftlerin entdeckte bei UID die Leidenschaft für Themen aus der UX-Welt und trägt diese seitdem auf den UID-Kanälen nach außen.
Tausche Dich direkt mit Juliane über digitale Gesundheitsanwendungen aus – via LinkedIn oder E-Mail.
Weitere Infos
- Digital Health: Modern. Nutzerzentriert. Sicher.
- Whitepaper: 5 Methoden für die Anforderungserhebung
- Customer Journey Mapping: Kundenbedürfnisse in Kundenbindung verwandeln
- Medical Review: Bedienkonzepte und Designsicherheit optimieren
- UID News: Human Centered Design: Menschzentriert zum intuitiven und sicheren Medizinprodukt
- UID News: Gamification in Healthcare: Mehr Motivation bei der Therapie
Quellen:
(1) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/14562485/ zitiert nach: https://noak-therapie.de/news/so-verbessern-sie-die-therapieadhaerenz-ihrer-patienten/#toggle-id-1
(2) https://www.draco.de/adhaerenz-adherence-to-therapy/
(3) https://research2guidance.com/product/mhealth-developer-economics-2015/
(5) Robert Koch Institut (2015) zitiert nach: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/Berichte/Abschlussbericht_CHARISMHA.pdf
(6) https://www.healthon.de/blogs/2017/03/10/adhaerenz-2020-companion-apps-digital-coaches-health-bots